Festtagsansprache zum 100-jährigen Jubiläum der Wandelhalle

Aus Geschichtliches aus Bad Pyrmont
( Festtagsansprache von Melanie Mehring am 20.07.2024 )

Sehr geehrte Gäste, liebe Jazzy Pyrmont, lieber Herr Schubert,

Erst einmal ganz herzlichen Dank für den netten Empfang heute Vormittag und die tolle Einführung. Ich freue mich sehr heute auf Einladung des Staatsbades bei Ihnen zu sein und mit Ihnen auf den Tag genau den 100. Geburtstag des Gebäudes zu feiern, in dem wir uns gerade befinden. Das ist für mich als Museumsmensch auch eine ganz neue Erfahrung: Normalerweise führe ich unsere Besucher durch unser Schloss und zeige ganz viele verschiedene historische Exponate und heute befinden wir uns quasi in dem Exponat, um das es in meinem kleinen Beitrag heute geht. Und dank Jazzy Pyrmont durften wir ja auch schon so richtig in die Zeit der wilden 1920er Jahre eintauchen. Genau genommen sogar exakt in das Jahr 1924 aus dem die gerade gehörten Songs stammen. Nämlich „Oh Lady be good“ von George Gershwin und „Ausgerechnet Bananen“ die deutsche Version des US-amerikanischen Schlagers „Yes, we have no bananas“ Natürlich steht das Jahr 1924 heute bei uns im Fokus, aber bevor wir das Jahr auch aus historischer Sicht näher beleuchten, möchte ich mit Ihnen auf eine kleine Zeitreise begeben. Denn wer uns Historiker kennt, der weiß, dass wir auch gerne mal ein bisschen weiter ausholen und deshalb möchte ich mit Ihnen heute zunächst nicht exakt 100 Jahre in die Vergangenheit zurückreisen, sondern gleich 2000 Jahre!

Der Pyrmonter Brunnenfund, Museum im Schloss

Denn dass dieser Ort, an dem wir uns heute befinden, ein ganz besonderer ist, wusste man schon vor 2000 Jahren. Hier sozusagen vor der Haustür wurde 1863 am Brodelbrunnen unser größter Schatz, der sog. Brunnenfund entdeckt: 228 erhaltene Opfergaben, darunter teils ganz besonders gearbeitete Fibeln, Münzen und natürlich unsere wunderschöne emaillierte Schöpfkelle, die alle nach der Zeitenwende bis ins 5. Jahrhundert nach Christi hier niedergelegt wurden. Den größten Teil dieses Schatzes können Sie natürlich bei uns im Museum bewundern. Diese damals äußerst wertvollen Stücke wurden also hier geopfert – warum? Das ist wie so oft in der Archäologie Spekulation. Vielleicht ging es um ein Fruchtbarkeitsritual, vielleicht erhoffte man sich mehr Niederschlag. Aber das „warum“ ist hier auch eigentlich gar nicht die zentrale Frage. Ich persönlich bin eigentlich von etwas ganz anderem viel mehr beeindruckt: Wir befinden uns in einer Zeit, in der an eine andere Form von Kommunikation, außer der von Angesicht zu Angesicht, noch gar nicht zu denken war. Und mit mangelnden Kommunikationsmitteln meine nicht etwa so neumodischen Kram wie Telefon. Es war noch nicht einmal möglich ein Flugblatt zu drucken oder einen Brief zu schreiben. Und trotzdem wusste man von dieser besonderen Quelle. Ihre „Wundertätigkeit“ hat sich im wahrsten Sinne des Wortes rumgesprochen. Und man hat aus damaliger Sicht große Entfernungen zurückgelegt und ist an einen Ort angekommen (hier), an dem es ja auch keine Infrastruktur gab - hier war keine Siedlung geschweige denn eine Stadt. Und dann hat man auch noch sein wertvollstes geopfert. Ich finde das aus heutiger Sicht eigentlich ziemlich spektakulär und es zeigt bereits sehr deutlich die enorme Bedeutung dieses Wassers, das hier aus Erde tritt. Nachdem wir nun so weit in die Vergangenheit geblickt haben, machen wir doch noch mal einen größeren Zeitsprung, aber immer noch nicht in die 1920er Jahre. Wir schauen uns das 17. Jahrhundert etwas genauer an, denn der 30-jährige Krieg und vor allem die folgenden Jahrzehnte waren für Pyrmont von besonderer Bedeutung:

Plan von der Festung und Residence 1630 (1734)

Im Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) lebte der alte Erbfolgestreit zwischen dem Bistum Paderborn und den damals herrschenden Grafen von Waldeck wieder auf. Nach dem Erlass des sog. Restitutions-Edikts im Jahre 1629, dem zufolge alle protestantischen Fürsten die von ihnen in Besitz genommenen geistlichen Güter zurückgeben sollten, begann der kaiserliche General Pappenheim auf Veranlassung des Bistums Paderborn eine Belagerung der Festung Pyrmont. Die Festung wurde während des Krieges gleich mehrmals belagert und das ursprüngliche Renaissance Schloss so stark zerstört, dass man es später abtragen ließ und ab 1706 eine moderne barocke Sommerresidenz errichtet - (Das alte Renaissance Schloss können Sie vielleicht hier auf dem Bild sogar erkennen, ansonsten müssen Sie mal wieder in unserer Dauerausstellung vorbei schauen).

Aber das nur am Rande.

Georg Friedrich Graf von Waldeck um 1670, Museum im Schloss

Nach dem Dreißigjährigen Krieg ist der weitsichtige Graf Georg Friedrich von Waldeck die zentrale Person für unseren Ort. Schon früh erkennt er den wirtschaftlichen Wert der Quellen. Er schafft es nach langjährigem Prozess vor dem Reichskammergericht zu Wetzlar den sog. Pyrmonter Hauptschluss zu verhandeln. Dieser zieht eine Grenze durch das Tal: Die Stadt Lügde fiel 1668 an Paderborn, die Dörfer Holzhausen und Oesdorf, das Schloss und die Quellen blieben als Grafschaft Pyrmont im Besitz des Hauses Waldeck. Auch das nur am Rande: Die Folgen dieser Grenzziehung haben bis heute Bedeutung für uns, denn das Lügde heute zu NRW gehört und Bad Pyrmont zu Niedersachsen geht genau darauf zurück.

In Georg Friedrichs Amtszeit fiel auch der sog. Fürstensommer 1681, bei dem sich 40 königliche und fürstliche Personen, darunter 24 regierende Häupter, in Pyrmont aufhielten.

Damit haben wir zwei wesentliche Faktoren, die dazu beitragen, dass das inzwischen zum Fürstenhaus erhobene Waldeck in das Kurbad investiert: politische Stabilität und mediale Aufmerksamkeit.

Stich von Pyrmont 1698

Sie erkennen auf dem Bild vielleicht, wenn auch nicht im Detail, dass bis dato eigentlich Lügde das Zentrum im Talkessel war. Während Lügde alles hatte was eine Stadt braucht, gab es in Pyrmont im Prinzip die Festung, Oesdorf und Holzhausen und ein paar einzelne Gehöfte. Wie gesagt: man wusste schon sehr lange um den Wert der Quellen, aber u. a. die ungeklärten Besitzverhältnisse führten dazu, dass man nicht in die Infrastruktur investierte und damit kein Kapital aus den Quellen schlug. Das änderte sich nun!

Bad Pyrmont. Brunnenplatz mit Brunnentempel von 1668, Museum im Schloss

Und hier schlagen wir nun endlich den Bogen zu unserem eigentlichen Thema heute: Die erste Baumaßname konnte Georg Friedrich sogar schon im Jahr 1668 vollenden: Die Errichtung des barocken Brunnentempels, vermutlich nach italienischem Vorbild.

Auf diesem Stich von 1698 können Sie das ganz gut erkennen: Wir sehen noch die Festung mit dem Renaissance Schloss, aber der Brunnentempel und der sog. „Spaziergang“, die Hauptallee, stehen schon für die Kur zur Verfügung.

Dies war das Brunnenhaus, in dem unsere berühmten Kurgäste des 18. Jahrhunderts von Friedrich dem Großen über Zar Peter bis hin zu Goethe ihren Pyrmonter Brunnen zu sich nahmen.  

Brunnenplatz um 1850

Als nächstes habe ich Ihnen verschiedenen Ansichten des Brunnenplatzes aus dem 18. und 19. Jahrhundert mitgebracht. Und Sie erkennen sicherlich, dass sich im Vergleich zu der Abbildung vorher einiges getan hat. Denn mit diesen vielen und berühmten Kurgästen und überhaupt der wachsenden Beliebtheit Pyrmonts als Badeort veränderte sich der Brunnenplatz natürlich auch weiter:

1784 entstanden die Kollonaden unter denen man auch bei Regen zumindest halbwegs trocken ein Stückchen wandeln konnte. Und 1843 entstand die erste Wandelhalle im klassizistischen Stil. Die einzelnen Bilder vermitteln vielleicht einen kleinen Eindruck, wie der Brunnenplatz in der Zeit des „Fürstenbades Pyrmont“ aussah.

Hylliger Born um 1910, Museum im Schloss

Aber auch diese Bauten genügten schon bald nicht mehr den Ansprüchen des Badepublikums, sodass wir 1868 einen völlig neugestalteten Brunnenplatz vorfinden.

Erbaut in gusseisernen Konstruktionen, die damals der neueste architektonische Schrei waren. (Nur zur Einordnung: Gut 10 Jahre vorher war der Kristall Palast in London erbaut worden und 20 Jahre später der Eiffelturm in Paris – man konnte sich also durchaus international messen). Es gab einen Brunnentempel, der die Quelle schützte und in dem die Brunnenknechte das Heilwasser schöpften und es gab zwei Wandelhallen, eine für das gehobene Publikum und eine Bauernwandelhalle.

Die Bauernwandelhalle erkennen Sie vielleicht auf dem Bild oben rechts.

Die drei Gebäude waren zwar alle überdacht, jedoch waren die Wände offen, sodass man doch nicht ganz wetterunabhängig war.

Pyrmont war damit wieder gut aufgestellt, erhielt 1914 sogar den Namenszusatz „Bad“. Doch mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ändert sich alles. Darauf würde ich nun gerne etwas näher eingehen, da es historisch nicht nur äußerst spannend ist, sondern auch grundlegend ist für die Entstehung der Bauten, die heute noch unser Stadtbild prägen und auch für die Strukturen, denen wir immer noch in unserer Stadt begegnen. Also verzeihen Sie mir hoffentlich, wenn ich an dieser Stelle etwas weiter aushole.

Wie einschneidend der Erste Weltkrieg für Bad Pyrmont war, obwohl hier keine Kampfhandlungen stattfanden, möchte ich nur ganz kurz an zwei Zahlen verdeutlichen: Die Pyrmonter Gemeinden hatten damals zusammen knapp 10.000 Einwohner, von denen gut 1000 Personen als Soldaten dienen mussten. Dass also nicht nur die Soldaten an der Front von dem Krieg betroffen waren, sondern auch in einer noch nie dagewesenen Form auch die sog. Heimatfront ist offensichtlich.

Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Novemberrevolution dankt der Deutsche Kaiser ab, die Monarchie ist am Ende und Deutschland wird zur Republik.

Der letzte regierende Fürst des Fürstentums Waldeck-Pyrmont, Friedrich, ist jedoch nicht bereit auf seine Regentschaft zu verzichten. Er wird am 13. November 1918 durch Vertreter der Kasseler Arbeiter- und Soldatenräte abgesetzt.

Aus dem Fürstentum wird ein Freistaat innerhalb der Weimarer Republik und man wählt 1919 eine „Verfassungsgebende Waldeck-Pyrmonter Landesvertretung“. Übrigens das erste Mal, dass in Waldeck – und damit auch in Pyrmont - Frauen ihre Stimme abgeben dürfen.

Diese Landesvertretung strebt den Anschluss Pyrmonts an Preußen an.

Das ist natürlich eine absolut grundlegende Entscheidung und bewegt entsprechend die Gemüter. Als Alternative stehen auch der Verbleib bei Waldeck und der Anschluss an Lippe zur Debatte. Das Für und Wider wird sorgfältig abgewogen und in den Medien und der Stadtgesellschaft diskutiert, denn die endgültige Entscheidung soll per Volksentscheid fallen.

Gegen den Anschluss an Preußen sprechen die Waldeckische Tradition und die schlechte finanzielle Lage Preußens. Man befürchtet z. B. die Einführung der preußischen Grundvermögenssteuer, die vier Mal höher war als die Pyrmonter. Die Befürworter argumentieren, dass ein kleiner Staat wie Waldeck nicht mehr lebensfähig sei und Preußen mehr Zugeständnisse mache als Lippe.

Wahlberechtigt sind alle Männer und Frauen über 20 Jahre, die seit mindestens 9 Monaten ihren Wohnsitz in den Pyrmonter Gemeinden haben. Erstaunlich ist, dass trotz der Schwere der Entscheidung am 16. Oktober 1921 nur etwa die Hälfte der Wahlberechtigten zur Wahl gehen. Vielleicht musste man sich erst an dieses neue Privileg gewöhnen. Das Ergebnis fällt dafür umso eindeutiger aus: 2546 Personen stimmen für den Anschluss an Preußen, 640 dagegen.

Nach der Volksabstimmung besiegeln die Waldeckische und die Preußische Regierung in einem Staatsvertrag die Zugehörigkeit Pyrmonts zu Preußen zum 1. April 1922. Der verbliebene Freistaat Waldeck wird übrigens erst 1929 durch Eingliederung in die preußische Provinz Hessen-Nassau aufgelöst.

Die feierliche Übergabe der Verwaltung findet im festlich geschmückten Saal des Hotels „Zur Krone“ statt. Die Kreise Pyrmont und Hameln werden zum Landkreis Hameln-Pyrmont in der preußischen Provinz Hannover vereinigt.

Der Anschlussvertrag regelt nun allerhand praktisches, z. B. was die Staatsangehörigkeit der Pyrmonter Bürger betrifft, die Finanzen, die Straßen, welche Waldecker Gesetze und Verordnungen in Kraft bleiben sollen und was mit den Staatsbeamten passieren soll (keine Sorge: sie sind alle übernommen worden und auch die Renten und Sozialleistungen für Witwen und Waisen wurden weiter gezahlt).

Von besonderem Interesse ist aber natürlich für alle Beteiligten das Bad. Hier liegt nicht nur der größte Vermögenswert, sondern auch die Existenzgrundlage vieler Pyrmonter Bürger. Die meisten Pyrmonter lebten direkt oder indirekt vom Kurbetrieb. Da keiner der Beteiligten sich in der Lage sieht, das Bad alleine zu bewirtschaften, geht man ungewöhnliche Wege: Man entschließt sich eine Aktiengesellschaft zu gründen.

An der Bad Pyrmont AG sind der Staat Preußen, die Gemeinden Bad Pyrmont, Oesdorf und Holzhausen sowie der Landkreis beteiligt. 1/6 der Aktien können privat gezeichnet werden. Dies ermöglichte die schon lange geplante Modernisierung und Erweiterung des Bades.

Es entstehen die Bauten, die in unserer Stadt noch immer zentrale Rollen spielen: das Lesesaalgebäude mit den Arkadengängen, das Konzerthaus und zuerst die neue Wandelhalle mit Brunnentempel.  

An dieser Stelle darf ich unsere Zeitreise einmal kurz unterbrechen und betonen (verzeihen Sie mir meine saloppe Ausdrucksweise), wie krass diese Geschichte ist! Aus unserer Perspektive heute sind wir so unglaublich viel gewohnt: die Welt wächst zusammen, wir bekommen Nachrichten in Echtzeit und der technische Fortschritt scheint uns manchmal davon zu laufen.

Vor dem ersten Weltkrieg sah die Welt anders aus. Insbesondere auf Pyrmont bezogen veränderte sich gesellschaftlich und politisch nicht viel. Natürlich entwickelte sich das Bad insbesondere im 18. Jahrhundert zu einem florierenden Ort und natürlich gab es auch mal Krisen und man ärgerte sich, dass der Fürst schon wieder die Steuern erhöhte, aber im Großen und Ganzen ging das Leben über Jahrhunderte seinen gewohnten Gang.

Dann kam dieser unvorstellbare Krieg, der nun wirklich jeden betraf. Und nach dem Krieg ist einfach alles anders als vorher: Die Wirtschaft ist am Boden und eine unvorstellbare Hyperinflation setzt ein. Das einzige politische System das man kannte, gibt es nicht mehr! Stattdessen darf man mitbestimmen (sogar als Frau) und dann wird man auch noch Teil eines anderen Staates. Und in dieser komplett neuen Situation, in der man ja gar nicht weiß wohin die Reise geht, haben die Verantwortlichen den Mut zu sagen: Alleine schaffen wir es nicht, lasst uns zusammentun und diese Stadt nach vorne bringen. Und innerhalb kürzester Zeit, baut man dann auch noch die halbe Stadt um. Und das alles in gut 10 Jahren.

Das wäre wahrscheinlich selbst in unserer heutigen schnelllebigen Zeit, ziemlich krass!

So, nun haben Sie schon einiges über die Geschichte dieses Ortes gehört und wir sind bei unserer kleinen Zeitreise auch endlich in den 20er Jahren angekommen um die es ja heute eigentlich geht.

Bereits am 27. Mai 1922 beschloss der Aufsichtsrat der Bad Pyrmont AG einstimmig, den Bau der Wandelhalle und des Konzerthauses vorzubereiten und Ende desselben Jahres konnten in einem Wettbewerb bereits 60 Entwürfe für eine neue Wandelhalle öffentlich eingesehen werden. Es gewann der Entwurf des Architekten Alfred Sasse aus Hannover, der ein besonders vielseitiger Architekt war: Von ihm stammen Wohnhäuser, Schulen, Industriebauten genauso wie zahlreiche Kirchen-, Bank- und Sparkassen-Gebäude.

Auf Wunsch des Kurvereins und der Pyrmonter Bevölkerung wurde die Wandelhalle an der Stelle der alten errichtet, jedoch ein Stück zurückversetzt, um die Blickachse von der Brunnenstraße durch die Hyllige Born Allee freizuhalten und den Brunnenplatz zu vergrößern.

Am 29. November 1923 wurde der Grundstein gelegt.

Das war genau 14 Tage nach der Währungsreform, die die Hyperinflation der frühen 20er Jahre beendet hat. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass wohl alle bis zuletzt daran gezweifelt haben, ob die Bauarbeiten überhaupt beginnen können. Dabei muss man aber bedenken, dass der Bau durchaus auch eine ganz wichtige – heute würde man vielleicht sagen: Arbeitsbeschaffungsmaßnahme war, denn viele Arbeitslose fanden in solchen großen öffentlichen Bauvorhaben eine Beschäftigung und das half aus der wirtschaftlichen Krise der Zeit herauszukommen.  

Am 20. Juli 1924 – heute vor 100 Jahren übergab Planer und Erbauer Alfred Sasse das Gebäude in Anwesenheit vieler Ehrengäste, wie dem preußischen Finanz- und Innenministern, dem Vorsitzenden der Bad Pyrmont AG, Kurdirektor Prestien. Was das für ein riesengroßes Ereignis war, lassen diese beiden Fotos von der Einweihungsfeier vermuten.

Dass die Bauarbeiten innerhalb kürzester Zeit und sogar im Winterhalbjahr abgeschlossen wurden, geschah auf ausdrücklichen Wunsch der Auftraggeber. Dabei darf aber nicht vergessen werden, welche Bedingungen insbesondere für die Arbeiter dort herrschten. Mehrere Unfälle auf der Baustelle sind belegt, darunter zwei besonders schwere. Außerdem streikten zwischendurch auch noch die Maurer.

Dass man so unter Zeitdruck mit dem Neubau stand, hatte natürlich wirtschaftliche Gründe: Das Heilwasser und das Wandeln waren damals noch die zentralen Elemente der Kur. Heute hat sich das durch die Fortschritte in der Medizin deutlich verschoben. Insofern war es damals noch essentiell, dass diese zentralen Kureinrichtungen in der Saison zur Verfügung standen.

In dieser Hinsicht bot die neue Wandelhalle dann gleich noch einen ganz großen Vorteil: Das erste mal hatte man ein geschlossenes Gebäude für die Wasserausgabe, für das Wandeln und für das gesellschaftliche Miteinander. Und nicht nur das: Durch Abdampf von der im Kurhaus liegenden Kesselanlage konnte die Wandelhalle sogar beheizt werden. D. h. man war unabhängiger vom Wetter und konnte die Kursaison sogar verlängern, von Anfang April bis Ende September, was wiederrum neue Verdienstmöglichkeiten eröffnete. Und wenn es im Sommer zu heiß wurde, konnte man die Fronten mit einem ausgeklügelten System von Schiebetüren öffnen, was damals in den Zeitungen stolz berichtet wurde.  

Und überhaupt war man, was die Logistik betraf, nun gut gerüstet. Die Deutsche Bauzeitung berichtet 1925: „Links befindet sich die Gläserausgabe für 10.000 Gläser, rechts die Brunnen-Ausgabe mit 42 Zapfstellen für sieben verschiedene Brunnenkuren, mit Maschinenraum dahinter, rückwärtig und an den vorderen Ecken acht Verkaufsläden, während in den rückwärtigen Ecken links die reichlich bemessenen Klosett- und Gurgelanlagen usw. für Männer und rechts dementsprechende für Frauen angeordnet sind.“

Den ganzen sehr informativen Artikel zum Bau der Wandelhalle in der Deutschen Bauzeitung können Sie übrigens im Pyrmont Wiki nachlesen, das ich Ihnen als Geschichtsinteressierte Pyrmonter sehr gerne ans Herz lege: Schauen Sie einfach mal auf www.pyrmontwiki.de

Aber zurück zur Wandelhalle: Zur Ausstattung gehörten auch Marmorbrunnen in den Achsen der Kurzseiten, die mit einem bronzenen Moorjüngling und einer Quellennixe von Georg Herting aus Hannover geschmückt sind. Der Maler Hans Schmidt aus Weimar steuerte einen Gemälde Zyklus als Fries zur Erstausstattung der Wandelhalle bei, der Sagen und Geschichten rund um Pyrmont illustrierte. Eines dieser Bilder, das die Übergabe Pyrmonts an das Land Preußen darstellt, können Sie heute in unserer Dauerausstellung bewundern.

Die Bad Pyrmont A. G. hatte nun mit viel Aufwand und Geld in das Kurbad investiert. Das musste man nun natürlich kundtun. Und so ging man auch was die Werbung betraf modernste Wege. Kurz nach der Fertigstellung der Wandelhalle und des Hylligen Borns drehten die Döring Filmwerke Hannover, seinerzeit der größte Produzent von Dokumentar- und Werbefilmen in Deutschland, einen fast zwanzigminütigen Film über die Reize Bad Pyrmonts.

Der Film wurde 1924 in Bad Pyrmont uraufgeführt und dann in den Kinosälen auf den Liniendampfern der Hapag-Lloyd Südamerika Linie eingesetzt.

Die vermutlich einzigen erhaltenen Kopien dieses Films auf zwei 35mm Filmrollen befanden sich im Archiv des Staatsbades. Eine der Rollen wurde vor etwa 25 Jahren für einen Film über das Fürstentum Waldeck-Pyrmont auf Betacam abgetastet. Die andere Rolle geriet in Vergessenheit bis Jörg Schade von der Pyrmonter Theater Companie sie bei Recherchen verborgen in einem Keller entdeckte. Es war sofort klar, was für ein Schatz hier lagerte, aber auch, dass dringend Handlungsbedarf besteht. Vor allem die zweite Rolle wies zahlreiche Verformungen, Ablösungen und Bruchstellen auf. Das Staatsbad Pyrmont, der Museumsverein im Schloss e. V., das Museum im Schloss, und die Gesellschaft für Filmstudien e.V. im Niedersächsischen Filminstitut schlossen sich zusammen und konnten so die aufwändige Restaurierung und Digitalisierung bei Studio Hamburg Postproduction finanzieren.

Das Ergebnis ist beeindruckend und bewegend zugleich! Und vielleicht haben Sie den Film schon im Kino mit der eigens von der Theater Companie komponierten Filmmusik gesehen. Für Sie habe ich heute ein paar Szenen mitgebracht, die uns das bunte Treiben in der Wandelhalle, im Jahr ihrer Eröffnung, in bewegtem Bild zeigt.

Wenn Sie Interesse haben: Auf unserer Homepage www.museumpyrmont.de können Sie sich zuhause und ganz in Ruhe den gesamten Film anschauen.

Während sich das äußere Erscheinungsbild dieses Gebäudeensembles in den letzten 100 Jahren kaum veränderte, gab es im Innenbereich durchaus grundlegendere Veränderungen. Die größte Umbaumaßnahme gab es 1957: Die Gläserausgabestellen wurden zwischen die Zapfhähne an der Ostseite gelegt. An der Westseite entstand ein Ruheraum für Kurgäste. Auf der Nordseite befand sich bis dato sogar das Heimatmuseum, der Vorgänger unseres heutigen Museums, das im Zuge des Umbaus zunächst in den Fürstenhof gegenüber einzog. Und natürlich erfolgte die Überdachung des Innenhofes, in dem wir gerade sitzen. Das können Sie vielleicht auf der Postkarten unten rechts erkennen.

Dieser Bereich war ursprünglich offen und hier thronte unser berühmter Gast Königin Luise, die der Bildhauer Prof. Hundrieser nach der Eröffnung für den Innenhof geschaffen hatte. Sie beobachtet nun hier um die Ecke das Kurleben in Bad Pyrmont weiterhin. Auch dieser Schritt diente natürlich dazu die Kur wetterunabhängiger zu machen.

Und auch die Innenausstattung und Möblierung hat sich natürlich im Laufe der Jahre öfters mal geändert, wie man sehr schön auf dieser Postkarte aus den 1980er Jahren erkennen kann.

Damit sind wir auch schon fast am Ende unserer kleinen Zeitreise angekommen. Und ich hoffe, ich konnte Ihnen einige interessante Aspekte zu diesem zentralen Ort unserer Stadt mit auf den Weg geben.

Bei diesem Rückblick ist für mich eigentlich das Spannende zu sehen, dass Bad Pyrmont sich in den letzten gut 300 Jahren in denen der Kurbetrieb das bestimmenden Charakteristikum des Ortes ist, immer wieder neu erfinden musste, immer wieder auf Veränderungen reagieren musste und neue Angebote machen musste, um dem Zeitgeist Rechnung zu tragen und attraktiv zu bleiben. Dies zeigt sich alleine schon an dem kleinen Beispiel der Gestaltung des Hauptbrunnens und der Wandelhalle. Ohne diese Veränderungen hätte der Ort den Anschluss verloren, Kurgäste hätten sich anders orientiert und damit wäre die wirtschaftliche Grundlage verloren gegangen. Insofern sollte man Veränderungen durchaus offen gegenüberstehen und sich freuen, dass unser Geburtstagskind zu seinem runden Jahrestag besonders herausgeputzt wird.  

Und nun sind wir mit unserer kleinen Zeitreise wirklich am Ende angekommen und zwar mit einer Punktlandung – exakt 100 Jahre nach der Eröffnung der Wandelhalle. Deshalb noch einmal ganz herzlichen Dank an das Staatsbad für diese Geburtstagsfeier.

Und wie könnte man eine Zeitreise, die auf den Tag genau in der Gegenwart endet, besser beenden als mit diesem stimmungsvollen Bild der Mirabella Agentur hier hinter mir und einem Song aus dem Jahr 2024. Ich freuen mich zum Abschluss sehr auf "A Lazy Summerday (in May)" komponiert von Andreas Jakob Vogt für Jazzy Pyrmont und in der Wandelhalle am 15.6.2024 uraufgeführt und heute noch einmal als Geburtstagsständchen für Sie!

Vielen Dank!