Schlittschuhe galten als Super-Geschenk
Ein Artikel der Pyrmonter Nachrichten Weihnachten 1966, in dem der Holzhäuser Erich Kappmeyer sich erinnerte, wie um 1900 im Pyrmonter Tal Weihnachten gefeiert wurde:
Wie man vor 60 Jahren im Pyrmonter Tal Weihnachten feierte
Viele Landschaften und Volksstämme haben ihre eigenen Weihnachtsbräuche. Die Heilige Nacht und das Weihnachts-Evangelium sind selbstverständlich überall Grundlage des Festes. Aber viele Lebensgewohnheiten, Symbole und Ausgestaltungen sind im Laufe der Zeit für bestimmte Gegenden typisch geworden, wie zum Beispiel im deutschen Raum sich jedermann unter der erzgebirgischen Weihnacht etwas vorstellen kann oder unter der ostdeutschen Weihnachtssitte des Mohnklöße-Essens oder dem sächsischen Christstollen. Gibt es, oder besser, gab es, im Pyrmonter Tal auch solche besonderen Weihnachtsitten? Sie heute noch zu finden, wäre nicht ganz einfach, denn durch viele aus allen Gegenden Zugezogene sind inzwischen auch in Bad Pyrmont Bräuche eingebürgert, die man früher kaum kannte: vielfältige Kuchensorten, mit erzgebirgischen Figuren geschmückte Christbäume oder verschiedenartige Bräuche des Schenkens.
Man muss schon etwa 60 Jahre, in die Zeit der Großväter, zurückgehen. Nicht viele erinnern sich mehr daran oder können davon erzählen. Aber wir fanden in Erich Kappmeyer, einem alten Holzhäuser, jemanden, der uns umfassend Auskunft geben und die Zeit von damals in seinen Erzählungen wiederauferstehen lassen konnte.
Festessen nach Bauernart
Zunächst betonte unser Gesprächspartner, dass es ein typisches Weihnachtsbrauchtum im Pyrmonter Tal nie gegeben habe. Der Christbaum wurde stets bunt geschmückt und mit Flitter und Kugeln behängt. Bunt sei typisch, das unterstrich der Erzähler sinnend und wusste auch, dass die schneeweiß geputzten Christbäume zu den großen Ausnahmen gehörten.
Weihnachten in Oesdorf, Pyrmont und Holzhausen sei lange Zeit durch den landschaftsverbundenen und stark bäuerlichen Charakter geprägt worden. Das erwies sich an den Puttäpfeln, die ebenfalls an den Baum gehörten oder auch daran, dass Gänse, Enten oder Hühner das Weihnachtsfestessen darstellten und dass am Weihnachtsabend weder Weiß Würstchen noch Mohnklöße noch Süßwasserfische gefragt waren, sondern ein deftiges Bauernabendbrot mit der besten Wurst aus der Räucherkammer.
„Nachtleben“ nicht gefragt
Für das Nachtleben waren die Einwohner des Pyrmonter Tales früher und angeblich auch bis in die letzten Jahre hinein nie besonders zu haben. Deshalb fand der „Heiligabend“ am Nachmittag statt. Von Holzhausen aus ging man ebenfalls in die Oesdorfer Kirche. Für die Kinder ab drittem Schuljahr wurde vorher ein Sonder-Gottesdienst veranstaltet. Diese Weihnachts-Vesper hob sich nicht durch besondere Eigenarbeiten aus der Reihe der Gottesdienste hervor, meint Kappmeyer. Viel später erst seien die Krippenspiele oder musikalischen Darbietungen gekommen. Still und besinnlich verlief der Weihnachtsabend in früheren Jahren, lange Zeit schon deshalb, weil es bis 1913 in Holzhausen noch gar kein elektrisches Licht gab. Man ging — auch zu Weihnachten — früh zu Bett.
Am zweiten Weihnachtsfeiertag allerdings wurden die Menschen rege. Wie es teilweise auch heute noch als Brauch erhalten blieb, veranstalteten die heimischen Vereine am zweite Weihnachtstag häufig einen Ball oder einen Theaterabend.
Zuckerkuchen in jedem Haus
Für die „Ureinwohner des Pyrmonter Tales war der Zuckerkuchen, ein Plattenkuchen, der Inbegriff süßen Schmausens. Die große Auswahl an Torten oder verschiedenen Kuchenarten kannte man nicht, aber den Plattenkuchen mit Zucker und Butterflocken gab es in jedem Haus. Außerdem hatte jede Familie ihr eigenes Rezept für die Zubereitung von Spekulatius.
Mehr und mehr kamen die Lebkuchen oder auch Honigkuchen auf, wobei übrigens manche Einwohner auf die Verwendung von Kunsthonig schworen, während die Imker, deren Zahl in Holzhausen langsam zunahm, dem Bienenhonig den Vorzug gaben. Dieser Lebkuchen wurde schon ein Vierteljahr vor Weihnachten gebacken, er war kräftig gewürzt und musste abgelagert sein. Der reichliche Vorrat reichte entsprechend lange. Zu den Genüssen der kalten Tage gehörten außerdem die gebratenen Puttäpfel.
Schenken blieb in Grenzen
Man schenkte früher nicht so aufwendig wie heute. So wussten die meisten natürlich auch, was sie zu erwarten hatten, denn man schenkte „praktisch". Ebenfalls hatten sich ganz bestimmte Bräuche eingebürgert: Sobald Geschwister verheiratet waren, schenkten sie nur noch in ihrer neuen Familie. Personal — vor allem auch auf den bäuerlichen Anwesen - blieb am Christtag im Haus und feierte im Familienkreis mit und wurde auch dort beschert. Erst nach der Bescherung begaben sich die im Haus Beschäftigten in ihr Elternhaus. „Luxusgeschenke“ waren eine große Seltenheit, betont Erich Kappmeyer, und Spielsachen gab es auch nicht häufig. Die Kinder tummelten sich lieber im Freien oder hatten im Hof genügend Abwechslung.
Eislaufen auf der Graft
Aber Höhepunkt der Geschenke bildete früher das erste Paar Schlittschuhe für den Jungen oder das Mädchen, denn das Eislaufen auf der Graft am Pyrmonter Schloss gehörte zu den größten Vergnügungen des Winters. Dort traf sich dann alles, die Mitglieder der prominenten Pyrmonter Familien ebenso wie die bäuerliche Bevölkerung und die Kinder aus den Handwerker-Familien.
Im Winter verschwanden die Standesunterschiede, man war, wenn die Kurgäste abgereist waren, unter sich. Und ungeniert bewunderte dann das „gemeine Volk“ die neueste Mode oder auch andere Sitten, die die besser gestellten Mitbürger von außerhalb aufgenommen hatten und nun auf der Pyrmonter Graft zur Schau stellten.
Man kletterte, so erinnerte sich Erich Kappmeyer, über das Geländer an der Graft, und zwar etwa an der Stelle, wo heute der Ablauf an der Schlossstraße ist. Zeitweilig war das Geländer sogar durch eine eiserne Tür unterbrochen. Je nach Wasserstand musste man eine Leiter hinunterklettern oder brauchte nur einen Schritt tiefer zu tun. Auf dem Eis tummelten sich die Anfänger und die Könner, Kinder und Erwachsene, und unser Gewährsmann kann sich noch erinnern, dass er manche Mitbürger bestaunt hat, die herrliche Figuren auf dem Eis fahren konnten.
In strengen Wintern, in denen lange Zeit über das Eis auf der Graft zum Eislauf einlud, gab es sogar Verkaufsbuden, wo sich die Eisläufer mit warmen Würstchen oder Getränken stärken konnten. Welch ein Weihnachten, wenn einmal die Kälte für Eis auf der Graft gesorgt hatte und man sich in den Feiertagen dort tummeln konnte! Übrigens wurde die Eisbahn ständig überwacht, gepflegt und sauber gehalten. „Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals etwas passiert sei", bekräftigt Erich Kappmeyer. Aber er weiß noch ganz genau, wie in allen Häusern die Jugend auf das größte Geschenk zu Weihnachten wartete - auf ein Paar Schlittschuhe!